Im Zeitalter der Industrialisierung erlebte die Region rund um Solingen einen rasanten Aufschwung. In zahlreichen Kotten – teils wasser- oder dampfbetriebene Werkstätten – wurden Messer, Scheren und Werkzeuge für die wachsende Schneidwarenindustrie gefertigt. Einer dieser besonderen Orte befand sich in Langenfeld-Wiescheid: der Schalenschneider-Kotten, in dem bis ins Jahr 1988 noch echte Handarbeit geleistet wurde.
Wilhelm Jacobs – Ein Leben für die Handwerkskunst
Bis ins hohe Alter von 90 Jahren fertigte Wilhelm Jacobs in gewerblicher Heimarbeit sogenannte Messerschalen – also Messergriffe aus Holz – für die Solinger Schneidwarenindustrie. Er war der letzte aktive Schalenschneider im Wiescheider Kotten. Nach seinem Tod stand die historische Werkstatt aus dem Jahr 1920 kurz vor dem Abriss. Doch dem Einsatz des damaligen stellvertretenden Bürgermeisters Fritz Clees ist es zu verdanken, dass dieses einmalige technische Denkmal erhalten blieb.
Vom Abrissobjekt zum Kulturerbe
1989 ließ die Stadt Langenfeld ein Gutachten durch die Forschungsgruppe für Bauhistorische Untersuchungen unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. J. Eberhardt erstellen. Das Ergebnis war eindeutig: Der Wiescheider Kotten ist ein außergewöhnliches technisches Denkmal, das es zu bewahren galt.
Die Familie Schermuly, Nachkommen von Wilhelm Jacobs, überließ der Stadt das gesamte Werkstattinventar und unterstützte das Projekt fachkundig. Wissenschaftler vom Amt für Landeskunde in Bonn dokumentierten sogar die noch funktionierenden Arbeitsprozesse in einem Film. Anschließend wurden Maschinen, Werkzeuge und Bauteile sorgfältig demontiert, beschriftet und in einem Museumsdepot eingelagert.
Ein neues Zuhause im Volksgarten
Nach langen Planungen beschloss der Stadtrat am 19. Dezember 2006, den historischen Kotten im Volksgarten Langenfeld wiederaufzubauen. Möglich wurde dies durch eine beispielhafte Zusammenarbeit zwischen der Stadt, dem Förderverein Stadtmuseum Langenfeld und privaten Unternehmen.
Besonders erwähnenswert ist das Engagement des Unternehmers Guido Boes, der mit seiner Firma ehrenamtlich die gesamte Projektplanung und Bauleitung übernahm. Gemeinsam mit dem Förderverein und vielen freiwilligen Helfern wurde die Werkstatt in einer Glashülle teilrekonstruiert – ein faszinierender Blickfang, der den historischen Charakter bewahrt und zugleich transparent für Besucher macht.
Ein lebendiges Denkmal
Die Wiedereröffnung des Schalenschneider-Kottens erfolgte am 12. August 2008. Seither betreibt der Förderverein Stadtmuseum Langenfeld das technische Denkmal in ehrenamtlicher Trägerschaft. Besonders eindrucksvoll: Die Werkstatt wurde unter der Leitung von Wolfgang Jumpertz und mit Unterstützung von Walter Farin originalgetreu nach den alten Plänen wieder eingerichtet – ein Stück lebendige Geschichte.
Erleben, wie Handwerk früher war
Heute bietet der Kotten nicht nur einen faszinierenden Einblick in vergangene Handwerkskunst, sondern ist auch ein Ort der Vermittlung und Erinnerung. Jeden ersten Sonntag im Monat um 11:00 Uhr finden Führungen statt, bei denen Besucher die historische Werkstatt hautnah erleben können – inklusive funktionierender Maschinen, originaler Werkzeuge und spannender Geschichten aus der Zeit, als Handarbeit noch das Rückgrat der Industrie war.